Jaeki Hildisch • 5. August 2021
3. Sitzkissen und Nationalhymne
Tabu, Verstoß, Provokation und Missverständnis-Potential. Die deutsche Nationalhymne mit all ihren Strophen vorzutragen, unkommentiert - also nicht klar ob es sich um ein Pro oder Contra-Statement handelt - und obendrein in einem U-Musik Zusammenhang zu präsentieren, damit liess sich Mitte der 70er Jahre noch einiges reißen. So geschehen beim Meta Musik Festival am 05.Okt 1974 in Berlin, als Teil eines Konzerts von Nico, Brian Eno und John Cale. Nico und John Cale wurden als Mitglieder der amerikanischen Experimental-Rock-Band “Velvet Underground” berühmt; Brian Eno als Keyboarder von “Roxy Music” Beiden Bands sagt man nach, dass Punk ohne sie nicht dasselbe geworden wäre. Man hätte annehmen können, das kunstinteressierte Berliner Publikum wäre 1974 offener gegenüber einer interessanten musikalische Darbietung gewesen.
Richard Milton schrieb in seinem Blog “The Blue Moment”:
What really set them off was Nico’s decision to sing “Das Lied der Deutschen”, the old national anthem, with its tune by Haydn and its triumphalist words by August Hoffman von Fallersleben. It had been readopted by the Bonn government in 1952, using only the third verse: a hymn to peaceful unification. The verses about “Germany above all in the world” and “German women, Germany loyalty, German wine and German song” were omitted. Nico, inevitably, ploughed her way through the lot, seemingly oblivious to the gathering crescendo of disapproval. Cale responded as one knew he would, by hammering Rachmaninoff-style arpeggios up and down the keyboard, while Eno gamely produced a variety of lurid war noises from his little synthesiser. The booing and the heckling became shouting and chanting, and dozens of the white polystyrene cushions were hurled (quite harmlessly) towards the stage.
Diese Plastikkissen waren vorab an die Konzertbesucher verteilt worden, um dem Austragungsort Nationalgalerie etwas die Ungemütlichkeit zu nehmen, und ergaben prima fliegende Frisbees. Die abendliche Provokation lässt sich vielleicht wie das Hakenkreuz als “fashion item” bei englischen Punks einordnen. Als Politisches Statement taugte wahrscheinlich weder der Ort, noch der musikalische Vortrag, noch der Rest von Nico’s Werk. Leider hatte es Nico; deren Leben John Cale für ein Tribut Konzert zu ihren Ehren, “A Life along the Borderline” nannte, schon früher verpasst den Gerüchten um angeblich rassistische Äusserungen Ihrerseits ebenso stur entgegen zu treten wie sie ihr musikalisches Werk baute. Sie starb 1988 nach langer Heroin Sucht, die sie kurz vor Ihrem damit aber nicht in Verbindung stehenden Tod gerade erst beendet hatte. Eine Weile hatte man sie in den späten 70ger Jahren, begleitet vom deutschen Musiker Lüül, im Berliner Nachtleben antreffen können. Eine wichtige und komplexe Deutsche Künstlerin … ohne dass die Deutschen das gross zu schätzen wissen.
https://thebluemoment.com/2014/10/05/nico-eno-and-john-cale-in-berlin-1974/
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