Paulisttotblog

von Jaeki Hildisch 7. August 2021
Wie schon im englischen Punk bei Vivienne Westwoods modischen Grenzwanderungen und Stilrecycling, bekam das Universum “Stricken” auch in Deutschland in den siebziger Jahren eine ordentliche Injektion Adrenalin verpasst. Aus einer komplett anderen (kleinen) Welt das totgeglaubte Medium in eins der heißesten Mode-Topics zu verwandeln, gelang vor allem Claudia Skoda bestens. Skoda bewies, dass man durchaus auch aus Deutschland heraus Chic schaffen und damit international berühmt werden konnte. Legendär sind ihre Modeschauen und der Boden ihres Ateliers, der mit Fotos, die der großartige, damals noch junge, wilde und quicklebendige Martin Kippenberger gemacht hatte, tapeziert war. Claudia Skoda, die sich mit ausreichend Humor als Rockstar inszenierte, arbeitete eng mit Tabea Blumenschein, Allround-Künstlerin und u. a. Darstellerin in Ulrike Ottingers Filmen, zusammen. Skoda war auch Musikerin, u.a. als eine Hälfte der Berliner Band “Die Dominas”, die eine 10”-Schallplatte veröffentlichten. Der Legende nach schenkten Ralf Hütter und Karl Bartos den Dominas zwei Akkorde. Die Cover-Liner-Notes danken dann auch den Herren "Ralf H." und "Karl B." Auch wie wild gestrickt und Gestricktes verkauft wurde im Eisengrau, einem Laden in der Goltzstrasse in Berlin-Schöneberg, den Gudrun Gut und Bettina Köster betrieben. Das Eisengrau hat es aber Punkrock-gerecht nicht in die bürgerlich-museale Erinnerung geschafft, sodass heute nur wenig Zeugnisse überlebt haben. Jemand anderes, der übrigens auch sehr schön modische Strick-Pullover herstellte, war überraschenderweise Knut Schaller, Mastermind der Berliner Punkband PVC. Dank Punk und New Wave durfte Mode dann aber wieder wahlweise als Gesellschaftskritik, Hedonismus und Smartness gelten. Das punkrockmäßige Selbermachen brach mit der festgefahrenen Vorstellung, dass man sich Mode nur für viel Geld leisten und dann auch nur passend zu bestimmten Anlässen tragen konnte. Was englische Mods bereits in den 1960er-Jahren praktizierten, das Überspringen von Klassengrenzen durch smarte Anzüge, teure Hemden und schicke Schuhe, wurde bei Punk noch umfangreicher. Die Behauptung, dass man selbst etwas anderes sei, vielleicht sogar Besseres, als die durch die Gesellschaft vorgegebene Rollenfigur, hat unser Modeverständnis grundlegend verändert. In England hatte vielleicht sowieso schon das Konzept “(exzentrischer) Individualismus” einen sicheren Platz in der Gesellschaft, in Deutschland jedoch, das mit "Nichtgleichschaltung" und dem “Anderen” größere Schwierigkeiten hatte, muss diese Form der Selbstständigkeit wie eine echte Bedrohung gewirkt haben.
von Jaeki Hildisch 5. August 2021
Tabu, Verstoß, Provokation und Missverständnis-Potential. Die deutsche Nationalhymne mit all ihren Strophen vorzutragen, unkommentiert - also nicht klar ob es sich um ein Pro oder Contra-Statement handelt - und obendrein in einem U-Musik Zusammenhang zu präsentieren, damit liess sich Mitte der 70er Jahre noch einiges reißen. So geschehen beim Meta Musik Festival am 05.Okt 1974 in Berlin, als Teil eines Konzerts von Nico, Brian Eno und John Cale. Nico und John Cale wurden als Mitglieder der amerikanischen Experimental-Rock-Band “Velvet Underground” berühmt; Brian Eno als Keyboarder von “Roxy Music” Beiden Bands sagt man nach, dass Punk ohne sie nicht dasselbe geworden wäre. Man hätte annehmen können, das kunstinteressierte Berliner Publikum wäre 1974 offener gegenüber einer interessanten musikalische Darbietung gewesen. Richard Milton schrieb in seinem Blog “The Blue Moment”: What really set them off was Nico’s decision to sing “Das Lied der Deutschen”, the old national anthem, with its tune by Haydn and its triumphalist words by August Hoffman von Fallersleben. It had been readopted by the Bonn government in 1952, using only the third verse: a hymn to peaceful unification. The verses about “Germany above all in the world” and “German women, Germany loyalty, German wine and German song” were omitted. Nico, inevitably, ploughed her way through the lot, seemingly oblivious to the gathering crescendo of disapproval. Cale responded as one knew he would, by hammering Rachmaninoff-style arpeggios up and down the keyboard, while Eno gamely produced a variety of lurid war noises from his little synthesiser. The booing and the heckling became shouting and chanting, and dozens of the white polystyrene cushions were hurled (quite harmlessly) towards the stage. Diese Plastikkissen waren vorab an die Konzertbesucher verteilt worden, um dem Austragungsort Nationalgalerie etwas die Ungemütlichkeit zu nehmen, und ergaben prima fliegende Frisbees. Die abendliche Provokation lässt sich vielleicht wie das Hakenkreuz als “fashion item” bei englischen Punks einordnen. Als Politisches Statement taugte wahrscheinlich weder der Ort, noch der musikalische Vortrag, noch der Rest von Nico’s Werk. Leider hatte es Nico; deren Leben John Cale für ein Tribut Konzert zu ihren Ehren, “A Life along the Borderline” nannte, schon früher verpasst den Gerüchten um angeblich rassistische Äusserungen Ihrerseits ebenso stur entgegen zu treten wie sie ihr musikalisches Werk baute. Sie starb 1988 nach langer Heroin Sucht, die sie kurz vor Ihrem damit aber nicht in Verbindung stehenden Tod gerade erst beendet hatte. Eine Weile hatte man sie in den späten 70ger Jahren, begleitet vom deutschen Musiker Lüül, im Berliner Nachtleben antreffen können. Eine wichtige und komplexe Deutsche Künstlerin … ohne dass die Deutschen das gross zu schätzen wissen. https://thebluemoment.com/2014/10/05/nico-eno-and-john-cale-in-berlin-1974/ https://www.rockinberlin.de/index.php?title=5._Oktober_1974_Metamusik-Festival_(Nico,_John_Cale,_Brian_Eno)
von Jaeki Hildisch 28. März 2021
Roland Klick, deutscher Filmregisseur und kein Kind von Zimperlichkeit, wie sein Filmschaffen beweist, portraitiert in seinem Spielfilm “Supermarkt”, Erstaufführung Januar 1974, den (vermeintlich) sozialen Abstieg eines jungen Mannes, dessen Frust über sich und die Welt in einer Gewaltorgie mündet. Zumindest für den Zuschauer auch irgendwie befreiend. Natürlich kann man im echten Leben nicht losgehen und einfach Leute umballern, wenn man von irgendwas genervt ist; aber im Film geht eben doch einiges. Dem damaligen Gefüge des sich gerade gefundenen Autorenfilms war das alles etwas zu einfach, macholastig und anti-pc. Auf der anderen Seite würde man heute rückblickend sagen auch volksnaher. Der Film lässt sich aber auch als Abrechnung mit der Hippie-Liebheit werten. Wie auch “Rocker”, ebenfalls von Klick, frustet und ballert sich der Film durch Hamburg und die dortige Reeperbahn, bevor diese ein Tourismus-Muss wurde. Noch etwas weiter im Norden, an der titelgebenden Nordsee, spielt auch “Nordsee ist Mordsee“ von Hark Bohm. Unter anderem haben Filme wie “Supermarkt”, “Rocker”, “Nordsee ist Mordsee” das norddeutsche Platt als coolsten deutschen Slang zementiert. Nordisch By Nature also damals schon. Hamburg galt im Bundesdurchschnitt als härtere und zwingendere Stadt. Die Hamburger Musikszene zauberte eine ganze Batterie von unterschiedlichsten Talenten hervor. Nicht nur Übervater Lindenberg: beim Punk waren das Abwärts, X-Mal Deutschland, Buttocks, Razor, Die Zimmermännern und vielen andere. Später dann für den deutschen HipHop Fettes Brot, Absolute Beginner, Fünf Sterne Deluxe und Samy Deluxe (Satz umbauen). Plus diverse Generations-Plattenlabel wie ZickZack, Whats so funny ?, Yo Mama, Eimsbush, Tapete oder Grand Van Cleef. Dass es sogar eine Genre-Bezeichnung wie Hamburger Schule für Bands wie Tocotronic, Die Sterne, Blumenfeld, Tomte und Kettcar gibt, sagt uns einiges. Eine andere Maschinenpistole machte zur gleichen Zeit die Runde, nämlich als Logo der RAF. Bitterer Humor der Geschichte: anstelle der aus ideologischer Sicht favorisierten Kalaschnikow, baute der zuständige Grafiker, nichts Böses ahnend, das Image einer MP5 ein – der Maschinenpistole, die zeitnah zur Grundausstattung deutscher Polizisten avancieren sollte. https://de.wikipedia.org/wiki/Supermarkt_(Film)
von Jaeki Hildisch 28. März 2021
Hoffentlich nicht mit Absicht, aber dennoch richtungsweisend: das Anders-verlaufen-als-geplant-“First Rider Open Air”-Festival, das am 03. und 04. September 1977 in Scheeßel stattfand. Die Veranstalter hatten jede Menge Bands angekündigt. Mit denen man, wie in der Nachbereitung auffiel, teilweise die Vertrags- und Gagenverhandlungen nicht ganz zu Ende gedacht und gebracht hatte. Jedenfalls reiste ein Teil der Bands nicht an. Die paar Bands, die kamen, konnten nur teilweise auftreten. Nach Einbruch der Dunkelheit dämmerte es dem Publikum, dass bei weitem nicht alle angekündigten Bands auftreten würden. Manch eine/r fühlte sich über den Tisch gezogen. Die meisten Acts waren späte 60er-Bands wie die Birds (lt. Polizei Akte), Barclay James Harvest oder die deutschen Hippie-Veteranen von Nektar - aber auch The Damned und die Stranglers standen auf dem Plakat. Ein Tabak-Konzern hatte (wahrscheinlich) dank hoher Beträge den Titel des Festivals gewonnen. Das enttäuschte Publikum ließ seinem Unmut freien Lauf, verwüstete die Bühne und zündete sie anschließend an. Richtig kriminelle Energie legten Beteiligte an den Tag, die der angerückten Feuerwehr die Schläuche durchschnitten. Die Polizei kam auch … blieb aber nicht lange. Die Verantwortlichen hatten Stunden vorher das Gelände verlassen. In diesem Fall, könnte man sagen, hatte sich also eine Veränderung des Konsumentenverhaltens, etwas mühsam, aber klare Verhältnisse schaffend, seinen Weg gebahnt. Dass man einfach kaputtmachen konnte, was einen kaputt macht, war bestimmt für einige Kunden beeindruckend. Pyromanen in Musikzusammenhängen waren später z.B. die Einstürzende Neubauten, die zumindest bei Ihren frühen Auftritten auch gerne Feuer legten. Wenn nicht Andrew Unruh sogar selbst in Scheeßel war. Das Gelände wird heute vom Hurrikane- Festival genutzt, dem beliebten deutschen Indie-Rock-Festival. Die „AG Rockmusik“, die ein eigenes Fanzine hatte, gab zu diesem Anlass eine Sondernummer heraus. Gesammelte Zeitungsartikel und Zitate machten der Empörung Luft und dokumentierten die Vertreibung aus dem Festival Paradies.